Hotel Shanghai by Vicki Baum

Hotel Shanghai by Vicki Baum

Autor:Vicki Baum [Baum, Vicki]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-10-15T00:00:00+00:00


Müde, enttäuscht und nervös kam Dr. Chang aus Nanking zurück. Die Flugzeuge waren auf Tage hinaus ausverkauft gewesen, und er mußte den Zug nehmen. Dieser hatte fast zwei Stunden Verspätung gehabt und war überfüllt mit Flüchtlingen aus dem Norden, wie nur chinesische Züge überfüllt sein können. Mit Kindern, Großeltern und Bündeln hockten andere in den Bahnstationen und schauten vor sich hin. Chang kannte den schläfrigen Ausdruck seiner Landsleute. Es war, als wenn sie sich selbst auslöschten, sobald die Last zu schwer wurde. ›Wenn sie im Kämpfen so stark wären wie im Ertragen‹, dachte er zum zehntausendsten Mal in seinem Leben. Er schaute auf seine Armbanduhr, als er die Nordstation verließ. Zehn Minuten nach vier. Er winkte einem Taxi. Ich kann Pearl abholen, dachte er und wurde etwas zufriedener.

Die Poliklinik, in der Pearl dreimal die Woche Dienst tat, lag unweit vom Bahnhof in einem Arbeiterviertel von Chapei. Das kleine, ebenerdige Haus, an das ein Holzverschlag zur Vergrößerung angebaut war, lag inmitten leerer, staubiger Grundstücke. Pearl bekam vom Gesundheitsamt eine kleine Bezahlung dafür, daß sie die weißen Ärzte überwachte, die freiwillig dort arbeiteten, und jene Frauen behandelte, die noch die Scheu vor männlichen Doktoren nicht überwinden konnten. Es waren drei deutsche Ärzte, jüdische Auswanderer, und sie arbeiteten ohne Bezahlung. Dr. Chang wunderte sich noch immer über die Uneigennützigkeit der Fremden, die an Dummheit grenzte, obwohl er seufzend wünschte, daß seine Landsleute auch etwas vom Dienst am Nächsten verstehen würden. Pearl jedoch, die in Amerika aufgewachsen war, fand die Hilfe der deutschen Kollegen selbstverständlich und stand auf bestem Fuß mit ihnen.

Chang durchschritt schnell das sogenannte Wartezimmer, dessen Bretterwände mit bildlichen Darstellungen von Geschlechtskrankheiten und Ratschlägen für die Behandlung von Säuglingen vollgeklebt waren, sein Werk, sein Stolz. Ein paar halbwüchsige Burschen, Arbeiter aus den Mühlen am Soochow Creek, und ein alter, verkrusteter Kuli saßen an den Wänden entlang. Als Chang den Raum betrat, in dem seine Frau arbeitete, fand er sie über den wachstuchbelegten Tisch gebeugt, auf dem ein Neugeborener lag. Winzig wie er war, hatte er doch schon ein Mützchen mit goldenen Zieraten auf dem Kopf und Schuhe mit Tigergesichtern an den Füßchen. Pearl war gerade dabei, sie auszuziehen. Das Kind war still und zufrieden, die Großmutter stand daneben mit dem besorgten Gesicht alter Leute, die allem Neuen mißtrauen.

»Ein schöner Enkel«, sagte die kleine chinesische Wärterin, die mit einem Wattestäbchen bereitstand. Die alte Frau verbeugte sich murmelnd. Pearl sah auf und lächelte Chang zu. Sie hatte ein Lächeln, das jeden Millimeter ihres guten, herzförmigen Gesichtes erreichte und sie vollkommen veränderte. Das Lächeln verschwand gleich wieder, als sie sich dem Säugling zuwendete. Sie drehte das winzige Füßchen hin und her und beugte sich tiefer darüber. »Doktor Hain!« rief sie in den nächsten Raum, dessen Tür nur angelehnt war. Drinnen erfolgte ein undeutliches Gebrumm, die Tür wurde mit einem Fuß aufgestoßen, und es erschien Dr. Emanuel Hain, der einen Doktorkittel mit kurzen Ärmeln trug und die Hände in der Luft hielt. Auf dem Operationsstuhl im Nebenraum sah man einen halb entkleideten Mann liegen.

»Ja?« fragte der alte Doktor und trat an den Tisch.



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